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»Selbstzeugnisse von Schleswig-Holsteinern aus dem Ersten Weltkrieg«


Julia Liedtke, M. A.

Zeichnung aus dem Skizzenbuch eines Soldaten, 1916.
© Landesarchiv Schleswig-Holstein.

Die Nachlassabteilung des Landesarchivs in Schleswig bewahrt auf 500 Regalmetern Nachlässe von Schleswig-Holsteinern. Viele von ihnen haben den Ersten Weltkrieg erlebt, als Soldaten an der Front oder als besorgte Angehörige in der Heimat.

Die ganz persönlichen Zeugnisse bilden die Quellengrundlage meines Dissertationsprojekts. Neben den zahlreichen Feld­post­briefen enthält der Bestand Landkarten, Orden, Urkunden, Zeitungsausschnitte, Flugblätter, Tagebücher, Telegramme und Postkarten, außerdem zahlreiche Fotos und Skizzen. So kann ein umfangreiches und aufschlussreiches Bild von der Situation der Schleswig-Holsteiner in den Jahren 1914 bis 1918 erstellt werden. Bis auf wenige Ausnahmen sind diese Nachlässe bisher nicht wissenschaftlich untersucht worden.

Angeregt durch ein Ausstellungsprojekt im Landesarchiv Schles­wig-Holstein entschied ich im Jahr 2013, meine Dis­ser­tation den Selbstzeugnissen von Soldaten und ihren Angehöri­gen aus dieser Zeit zu widmen. Insbesondere anhand von Briefen möchte ich den Beziehungsaspekt in den Mitteilungen untersuchen.

Für die Arbeit mit diesem sehr umfangreichen Quellenbestand hat der Alumni Kiel e. V. das Geld für die Anschaffung einer Datenbank zur Verfügung gestellt. Mithilfe dieser Software ist es mir nun möglich, die Briefe und weiteren Dokumente zu erfassen und zu katalogisieren. So kann ich bereits bei der ersten Durchsicht der Nachlässe die Briefe nach Inhalt und Personen sortieren. Auf diese Ordnung werde ich in der weiteren Bearbeitung zugreifen können und damit eine effizientere Arbeitsgrundlage schaffen.

Für meine Untersuchungen ziehe ich in erster Linie Feldpostbriefe und -karten heran, da sie in den von mir bearbeiteten Nachlässen zahlenmäßig am stärksten vertreten sind. Das Verhalten des einzelnen Menschen in der Geschichte steht im Vordergrund meiner Betrachtungen. Welche Bedeutung hatte der Krieg in der bürgerlichen Lebenswelt? Stellte der erste industrialisierte Massenkrieg schon in der damaligen Wahrnehmung einen Umbruch der Lebensverhältnisse dar?

Bei diesem kommunikationsgeschichtlichen Ansatz stütze ich mich auf Beziehungsmodelle aus Psychologie und Pädagogik, insbesondere die Theorien von Friedemann Schulz von Thun. Anhand der unterschiedlichen Kommunikationsebenen möchte ich den Inhalt der Feldpostbriefe untersuchen und zeigen, wie sie die Beziehungen von Adressat und Empfänger, aber auch das Rollenverständnis des frühen 20. Jahrhunderts widerspiegeln.

Feldpostbriefe waren in der Zeit des Krieges das einzige Mittel der Kommunikation, das den Soldaten und der Heimatbevölkerung zur Verfügung stand. Entsprechend groß ist auch die Bandbreite der angesprochenen Themen, die von organisatorischen Fragen über das eigene Befinden bis hin zu fast philosophischen Lebensfragen reicht. Aus diesem Grund eignen sich die Briefe hervorragend als Primärquelle zur Erforschung der Lebenswelten. Kritisch zu betrachten ist jedoch die Authentizität dieser Briefe. Die Zensur der Frontbriefe bedingte ebenso eine Einschränkung bei den mitgeteilten Inhalten wie die Erwartungshaltung des Empfängers.

Einige Soldaten schrieben täglich an ihre Ehefrau oder Familie in der Heimat und erhielten fast ebenso regelmäßig Antwort. Viele Briefe und Tagebucheinträge enthalten neben der emotionslosen Situationsbeschreibung tiefergehende Überlegungen zum Krieg und zur eigenen Situation, beschreiben die Hoffnungen auf den raschen Sieg und reflektieren das Leben des Autors. Zudem lassen sie anhand der Ortsangaben und der für den Erhalt der Briefe so wichtigen Nennung des Regiments auch den Werdegang des Soldaten im Verlauf des Krieges nachvollziehen.

Oft entstammten die Autoren, deren Nachlässe das Landesarchiv verwahrt, aus einem bürgerlichen Milieu. Hier waren einerseits Patriotismus und Kaisertreue verbreiteter als in der Arbeiterschicht, andererseits war die Bereitschaft zum Schreiben langer Briefe vermutlich größer. So lässt sich zwar bei der Quellenbetrachtung kein repräsentativer Schnitt durch die sozialen Schichten der Gesellschaft erstellen, dafür können aber die Denk- und Verhaltensmuster dieser relativ homogenen Gruppe eingehend untersucht werden.

In zahlreichen Publikationen ist das Thema der Kriegserinnerungen bereits aufgearbeitet worden. Teilweise haben Angehörige die Tagebücher und Briefe der Vorfahren transkribiert und veröffentlicht, teilweise sind wissenschaftliche Bände zu verschiedenen Aspekten des Krieges entstanden, die auf Selbstzeugnissen als Quellengrundlage basieren. Zu den Kriegserlebnissen der Schleswig-Holsteiner im Ersten Weltkrieg fehlt jedoch meines Wissens noch ein umfassendes Werk. Diese Lücke soll mit der geplanten Dissertation geschlossen und so einen Beitrag zur Regionalgeschichte Schleswig-Holsteins geleistet werden.

Letzte Änderung: 3. November 2015
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